Observer Gesundheit: „Für eine zukunftsfähige berufliche Selbstverwaltung brauchen wir ein Führungspositionen-Gesetz für das Gesundheitswesen“

Circa 50 Prozent der berufstätigen Ärzt*innen sind weiblich. Das gleiche Bild zeigt sich bei den Zahnärzt*innen. Von den Psychotherapeut*innen sind 72 Prozent Frauen. 83 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Altenpflege sind weiblich. In der Krankenpflege sind es 80 Prozent. Seit mehr als einem Jahrzehnt studieren mehr Frauen als Männer Medizin. In den Hörsälen der Zahnmedizin sind bald zwei Drittel der Studierenden weiblich. Die „Feminisierung“ der Medizin ist längst Wirklichkeit. Schaut man sich die Entwicklung der Geschlechterverteilung im Studium an, darf man davon ausgehen, dass sich der Trend weiter verstärken wird. Nur in den Führungspositionen der Lehre und Forschung, aber auch der Versorgung, Pflege, Administration und Selbstverwaltung ist davon noch nicht viel zu sehen. Das Führungs-Positionen-Gesetz II hat für den Bereich der sozialen Selbstverwaltung daraus die Konsequenzen gezogen und stellt nun sicher, dass dort auf Vorstandsebene mehr Frauen mitentscheiden. Ausgerechnet die berufliche Selbstverwaltung wurde bei dieser wichtigen Maßnahme außen vorgelassen und hinkt weiter stark hinterher. Das muss sich aus Sicht der Spitzenfrauen Gesundheit e.V. ändern. Seit 2018 setzt sich der gemeinnützige Verein für die Förderung der Gleichberechtigung von Frauen im Gesundheitswesen und in der Gesundheitspolitik, die Wahrung ihrer beruflichen und sozialen Interessen sowie die Förderung von genderbezogenen Ansätzen in der Medizin und gesundheitlichen Versorgung ein.

Berufliche Selbstverwaltung weiterhin mit Handicap

Kassenärztliche Vereinigungen fest in männlicher Hand

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) schreibt auf ihrer Homepage, dass sie die Interessen der rund 181.000 freiberuflichen, in Praxen ambulant tätigen Ärzte und Psychotherapeuten wahrnimmt. „Sie gibt ihnen gegenüber Politik und Öffentlichkeit eine Stimme und bringt ihren Sachverstand in die gesundheitspolitische Diskussion ein. (…) Sie kämpft vor allem dafür, die Rahmenbedingungen zu verbessern, um den Beruf wieder attraktiver zu gestalten.“ Frauen, das legt schon die Wortwahl nahe, sind hier nur mitgemeint, was angesichts der Geschlechterverteilung in der Versorgung überrascht. 

Denn in der ambulanten Versorgung herrschte 2021 nahezu Parität. Jeweils 50 Prozent Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen sind Männer oder Frauen. 70 Prozent der niedergelassenen Psychotherapeut*innen sind weiblich. In der fachärztlichen Versorgung sind es 37 Prozent Mitgemeinte, wobei die Anteile stark schwanken. 57,9 Prozent der Kinderärzt*innen und 70,9 Prozent der Frauenärzt*innen sind weiblich – aber nur 12,1 Prozent der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg*innen. 48,8 Prozent der Hausärzt*innen sind Frauen. 

Diese Geschlechterverteilung sollte sich in den Entscheidungsgremien der Kassenärztlichen Vereinigungen wiederfinden. Wer die beruflichen Belange von Frauen vertreten möchte, muss auf Parität achten. „Achten“ setzt Aktivität voraus – der interessierten und engagierten Ärztinnen 

zum Wahlantritt, der männlich dominierten Gremien zur Bereitschaft, diese Frauen auch zu wählen. Nur mit ausreichend Frauen in den Entscheidungsgremien gelingt es, von einseitig geprägten Lebensentwürfen Abstand zunehmen und der zunehmend weiblichen geprägten Zukunft der vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung mit paritätisch erdachter Kreativität gerecht zu werden.

Von 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) haben jedoch 15 einen männlichen Vorstandsvorsitzenden, nur Thüringen und Schleswig-Holstein haben eine Vorstandsvorsitzende. Zehn der 17 KVen haben einen rein männlichen Vorstand. Auch die KBV zählt drei männliche Vorstandsmitglieder und keine einzige Frau. Die KVen und die KBV arbeiten also mit einem großen Handicap. Wie wollen sie die Zukunft der Versorgung gestalten, wenn in den entscheidenden Funktionen fast nur Männer mit einem klassischen Berufsweg als Niedergelassene sitzen? Und wie wollen sie die Zukunft der vertragsärztlichen Selbstverwaltung sichern, wenn es eine schwindende Bereitschaft zu Niederlassung und Gremienarbeit nach altbekanntem Muster gibt und viele jüngere Frauen und Männer mehr Gestaltungsspielräume bräuchten? Um neue Ideen zu entwickeln, wie die Niederlassung und die Arbeit in den Selbstverwaltungsgremien zeitgemäß gestaltet werden kann, sollte die Perspektive der Frauen endlich dort einfließen, wo die grundlegenden Gestaltungsentscheidungen getroffen werden. 

Auch Kammern sind immer noch zu sehr Männersache

Die Ärzte- und Psychotherapeutenkammern übernehmen eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung der Versorgung und der Sicherung der Qualität. Die Bundesärztekammer (BÄK) ist die Arbeitsgemeinschaft der 17 Landesärztekammern. Sie formuliert: „Als Arbeitsgemeinschaft der 17 deutschen Ärztekammern wirkt die Bundesärztekammer aktiv am gesundheitspolitischen Meinungsbildungsprozess der Gesellschaft mit und entwickelt Perspektiven für eine bürgernahe und verantwortungsbewusste Gesundheits- und Sozialpolitik.“ Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ist die Arbeitsgemeinschaft der 12 Landespsychotherapeutenkammern. Zu ihren Aufgaben zählt sie „die Belange der Berufsangehörigen und der Psychotherapie gegenüber der Öffentlichkeit, der Politik, den Institutionen des Gesundheitswesens, den Bundesbehörden, den Vertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer auf Bundesebene sowie gegenüber den europäischen Institutionen zu vertreten“. Vergleichbare Aufgaben und Zielsetzungen haben auch die Zahnärztekammern und die Apothekerkammern, deren Situation bzgl. beteiligter Frauen in den Spitzen der Institutionen annähernd vergleichbar ist.

Die Parität in den Entscheidungsstrukturen, und nicht nur in der Versorgung, ist damit eine notwendige Voraussetzung für eine funktionsfähige berufliche Selbstverwaltung in den Heilberufekammern. Aber 15 Ärztekammern haben einen Präsidenten, nur zwei, die von Niedersachsen und von Thüringen, haben eine Präsidentin. Der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) besteht aus diesen Präsidentinnen und Präsidenten, dem Bundesärztekammerpräsidenten und zwei zusätzlich gewählten Ärztinnen sowie zwei Ehrenpräsidenten. Wenn in einem solchen Gremium nur 4 Frauen zu finden sind, legt das den Schluss nahe, dass die weibliche Perspektive noch nicht hinreichend wertgeschätzt wird. Zwei Ärztekammern (Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) haben in ihrer Wahlordnung formuliert, dass Frauen und Männer gleichermaßen berücksichtigt werden sollten – mit begrenztem Erfolg. Immerhin hat der 126. Ärztetag im Mai beschlossen, bei Anträgen Frauen künftig nicht mehr nur mit zu meinen, sondern eine geschlechtersensible Wortwahl anzustreben. Auch bei der Benennung von berufspolitischen Organisationen will man gendersensible Bezeichnungen suchen. Das ist aber gemessen an den realen Problemen der beruflichen Selbstverwaltung nicht viel mehr als Symbolpolitik und ändert nichts an der männlichen Dominanz. 

Ein wenig besser sieht es bei den Psychotherapeutenkammern aus. Es gibt zwölf Landespsychotherapeutenkammern, sechs werden von einem Präsidenten geleitet, sechs haben eine Präsidentin gewählt. Im Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) sind zwei Frauen und drei Männer vertreten, wobei der Präsident und ein Vizepräsident männlich und eine Vizepräsidentin weiblich sind. Seit 2018 sieht die Satzung der BPtK Quoten für die Besetzung der Gremien vor. Der 32. DPT hatte dies mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Nur die Quote für den Vorstand fand diese Mehrheit nicht. Der 40. Deutsche Psychotherapeutentag hat 2022 die Satzung und die Ordnungen (MBO, MFO und MWBO) der BPtK gendersensibel formuliert. Bereits seit 2022 verwendet die BPtK in allen Publikationen eine gendersensible Sprache. Aber auch in den Entscheidungsstrukturen der Psychotherapeutenkammern ist die Parität noch längst nicht erreicht.

Frauenquoten können Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung sichern

Solange die Aufteilung von Sorgearbeit und Erwerbstätigkeit zwischen den Geschlechtern weiter nicht ausgewogen ist, haben Frauen spezifische Anforderungen an ihre Berufstätigkeit und ein ehrenamtliches Engagement. Es ist deshalb wichtig, dass diese Perspektive einfließen kann in Umbauten an den KV- und Kammerstrukturen, die in der Zukunft tragen und für jüngere Frauen und Männer attraktiv sind. Das funktioniert nur, wenn ausreichend Frauen auf ehrenamtliche Positionen gewählt werden, damit sie dann bei der Besetzung von hauptamtlichen Positionen berücksichtigt werden können und nebenbei auch als wichtige Vorbilder für andere wirken. 

Die Gremien der beruflichen Selbstverwaltung bei Kammern und KVen werden über Wahlen bestimmt. Wenn auf Landesebene Frauen nicht in die Vertreter- oder Kammerversammlungen gewählt werden, werden sie auch nicht in die Gremien auf Landesebene gewählt, finden damit keinen Zugang zu den Delegierten- und Vertreterversammlungen auf Bundesebene und können keinen Einfluss auf die Zusammensetzung oder die Wahl der Vorstände der Bundesärztekammer, der Bundespsychotherapeutenkammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ausüben. 

Es braucht eine doppelte Anstrengung, um diese tief verankerten Strukturen und Zusammensetzungen zu ändern. Für die Kassenärztlichen Vereinigungen und die KBV müsste im SGB V festgelegt werden, dass für KV-Wahlen zu Vertreterversammlungen Listenwahlvorschläge dem Grundsatz der Parität zu folgen haben. Der Grundsatz der Parität müsste gelten für die Vorsitzenden der Vertreterversammlungen und die Vorstände der KVen und der KBV. Bei einer Besetzung mit drei Personen sollte das Geschlechterverhältnis innerhalb der Profession entscheidend sein. Auch das könnte man in den Paragrafen 79 und 80 SGB V entsprechend vorgeben. Ergänzend sollte man im § 81 für die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der KBV vorgeben, dass sie Regelungen zur paritätischen Besetzung aller KV-spezifischen Gremien enthalten sollten und in geschlechtersensibler Sprache abzufassen sind. Der Gesetzgeber hatte bereits 2015 Vorgaben zur Stimmabgabe in der Vertreterversammlung der KBV gemacht, wenn es sich um hausärztliche oder fachärztliche Belange handelt. Bei gemeinsamen Themen hat er eine paritätische Stimmabgabe vorgeschrieben. Warum also jetzt, im Jahr 2022, nicht eine geschlechtsbezogene Parität vorgeben?

Anders muss das Vorgehen bei den Kammern sein. Hier sind die Heilberufe-Kammer-Gesetze entscheidend. Darin finden sich in den Bundesländern Berlin, Bayern, Hamburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt keine Regelungen zur Parität – auch nicht als Sollvorschrift. In den Gesetzen von Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Thüringen und Rheinland-Pfalz sowie dem Saarland wird formuliert, dass Frauen und Männer in gleicher Zahl berücksichtigt werden sollten oder dies anzustreben sei. Ausnahme ist Schleswig-Holstein. Hier wird vorgegeben, dass bei der Bildung der Kammerversammlung Frauen und Männer gleichberechtigt zu berücksichtigen sind. Aber mit Blick auf die Besetzung der Vorstände gibt es nur eine Soll-Vorschrift. Die Geschlechter sollen adäquat berücksichtigt werden. Eine solche Soll-Formulierung für die Besetzung des Vorstands gibt es teilweise in den Gleichstellungsgesetzen der Länder für die Körperschaften des Öffentlichen Rechts und damit auch für die jeweilige Ärztekammer, die Psychotherapeutenkammer wie auch die Kassenärztliche Vereinigung. Da dies ist jedoch nur eine Soll-Vorschrift ist, hat sie eine Wirkung wie die Soll-Vorgaben in den Heilberufe-Kammer-Gesetzen –eine zu geringe, um auch nur annähernd eine Parität herzustellen. 

Es sieht nicht aus, als ob die berufliche Selbstverwaltung aus sich heraus Artikel 3 des Grundgesetzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ umsetzen würde. Also kommt der nächste Satz des Artikels zum Tragen: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern …“ Aber wie ist es zu rechtfertigen, durch gesetzliche Vorgaben denjenigen, die für die Kammer- oder KV-Wahlen Listen aufstellen, verpflichtend vorzugeben, in den Wahllisten gleichermaßen Frauen und Männer zu berücksichtigen? Wie ist es zu begründen, dass den Vertreter- oder Delegiertenversammlungen über Quoten vorgegeben wird, Positionen mit Frauen und Männer gleichermaßen zu besetzen? 

Vorgaben zur Listenaufstellung lassen sich damit rechtfertigen, dass Geschlechter-Stereotype bis heute die Wahlchancen von Frauen mindern. Zum Teil bei den Frauen selbst, da sie vor klassisch Männern zugeschriebene Aufgaben einen allzu großen Respekt haben und sich manches nicht zutrauen. Hier knüpfen viele der Mentoring-Programme an. Insbesondere jedoch, weil Geschlechterstereotypen ihre individuellen Fähigkeiten so überschatten, dass diese den Wählenden gar nicht bewusst werden. Für Frauen ist zusätzlich ein ehrenamtliches Engagement schwieriger in die Lebensplanung zu integrieren, solange es in erster Linie Frauen sind, die neben ihrer Erwerbstätigkeit für die Sorgearbeit zuständig sind. Hinzu kommt, dass in den Selbstverwaltungsstrukturen die Meinungsbildungsprozesse und die Rituale auf männliche Lebenswelten zugeschnitten sind und deshalb für Frauen weniger attraktiv und vor allen Dingen weniger realisierbar sind. Man denke an langandauernde Sitzungsabende. Diese drei strukturell bedingten Nachteile sind, wenn überhaupt, nur für einzelne Frauen überwindbar, die dann der Beweis dafür sein sollen, dass Quoten verzichtbar sind. De facto werden diese strukturellen Nachteile die Wahlchancen für Frauen so lange mindern, wie für Frauen diese Nachteile nicht ausgeglichen werden. Erst bei gleichen Chancen für Frauen und Männer werden mehr Frauen in Entscheidungspositionen kommen. Im ersten Schritt geht es also darum für Frauen durch Quoten die Wahlchancen zu verbessern und damit die strukturell bedingte Bevorzugung der Männer zu beenden. Gesetzliche Paritätsvorgaben für Wahllisten gleichen die Benachteiligungen von Frauen aus, womit ihre Wahlchancen natürlich realiter erhöht und denjenigen der Männer angepasst werden.

Frauen wären als Mitglieder der Vertreter- oder Delegiertenversammlungen so wie Männer Vertreter*innen aller KV- bzw. Kammermitglieder. Die Frauenquote bahnt nicht den Weg für eine proportionale Repräsentanz von Einzelinteressen. Es geht stattdessen darum, dass bei der Entscheidungsfindung die geschlechtsspezifischen Perspektiven besser als bisher Berücksichtigung finden. Es ist wichtig, durch die Quote die unterschiedlichen Perspektiven von Männern und Frauen zu berücksichtigen, denn weitere unterschiedliche Interessen, die die Heterogenität der Kammer- und KV-Mitglieder abbilden, z.B. ob jemand in eigener Praxis oder angestellt arbeitet, welchen Facharztabschluss jemand hat, welchem Verfahren jemand angehört, in welcher Versorgungsregion jemand arbeitet, können sich quer zur Geschlechtszugehörigkeit zeigen. Die Suche nach Kompromissen und die Vorbereitung von Mehrheitsentscheidungen wird die Aufgabe der Vertreterversammlungen und Delegiertenversammlungen bleiben. Die Entscheidungen werden aber sachgerechter werden, weil sie für einen großen Teil der Berufsangehörigen einen prägenden Tatbestand, zusätzlich dazu, wo und wie sie tätig sind, angemessener berücksichtigen können. Durch die Perspektive von Frauen auf die Rahmenbedingungen der Berufstätigkeit von Ärzt*innen, Zahnärzt*innen und Psychotherapeut*innen werden veränderte Schwerpunktsetzungen möglich werden, die im Ergebnis die KVen, KZVen und auch die Kammern in die Lage versetzen, gute Entscheidungen zu treffen mit Blick auf die Berufstätigkeit der Berufsangehörigen und die Gestaltung der Versorgung.

Es ist gut, dass der 125. Deutsche Ärztetag im vergangenen November diese Reformbedarf eingeräumt  und einen Antrag verabschiedet hat, der den Gesetzgeber auffordert, die gesetzlichen Grundlage für die geschlechterparitätische Besetzung der Organe der Selbstverwaltung zu schaffen sowie effektive gesetzliche Regelungen für die paritätische Besetzung von Leitungsfunktionen im Gesundheitswesen zu erlassen. Richtig ist auch, dass diese Notwendigkeit für alle Organisationen und Gremien gelten muss, die auf Entscheidungen im Gesundheitswesen Einfluss nehmen, also alle im SGB V und XI genannten Beteiligten. Natürlich könnte man im eigenen Einflussbereich auch ohne diese Regelungen durch entsprechende Wahlhandlungen Tatsachen schaffen. Aber die Ärzteschaft scheint mit dem Ruf nach dem Gesetzgeber selbst der Ansicht zu sein, dass man es ohne Quote nicht schafft. Tatsächlich sind Aufrufe und Selbstverpflichtungen über Jahrzehnte hin wirkungslos geblieben. Auch derzeit böte sich eine Gelegenheit, bei den laufenden Wahlen in den KVen und den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen möglichst viele Frauen in die Gremien zu wählen und das Handicap aus eigener Souveränität abzubauen. Was sich bisher aus den Listenaufstellungen zeigt, deutet darauf hin, dass die Chance erneut verpasst werden wird.  

Zukunft geht anders

Es geht hier aber um mehr als nur die Sicherung unseres selbstverwalteten Versorgungssystems. Es geht um die Sicherung der Gesundheitsversorgung in Zeiten des demographischen Wandels, in denen sich das Generationenverhältnis grundlegend ändert. Bereits heute blicken wir auf eine enorme Versorgungslücke in der Pflege, die sich in allen prognostischen Betrachtungen weiter vergrößern wird. Politische Aktivitäten zur Sicherung der Pflege gehören mittlerweile zum Standardprogramm jeder Regierung. Viele Stellschrauben sind bereits angepasst worden. Der Exodus aus der Pflege hält dennoch an. Der Fachkräftemangel wird die Gesundheitsbranche insgesamt ganz besonders treffen. Viele Faktoren sind dafür maßgeblich, aber ganz zentral dürften die veralteten Strukturen und Arbeitsbedingungen sein. Studien zeigen, dass die jüngeren Generationen andere Ziele verfolgen als die vorangehenden. Erfolg wird anders definiert, Teamarbeit hat einen viel höheren Stellenwert und auch der Spaß bei der Arbeit. Die Jüngeren wollen oft keine Einzelkämpfer*innen sein. Sie wünschen sich eine sinnvolle Arbeit, in der sie wirksam sein können. Die Antwort auf diese Anforderungen – junger Frauen genauso wie zunehmend auch junger Männer – sollte sein, viel stärker arbeitsteilige Führungsstrukturen zu etablieren, Hierarchien abzubauen, lebenslanges Lernen und Weiterentwicklung zu ermöglichen und das gesamte Feld der Gesundheitsberufe neu zu denken und mit attraktiven Rahmenbedingungen und Aufstiegschancen auszustatten. Vieles davon ist synonym mit den Interessen, die Frauen längst haben. Deshalb wäre es aus gesellschaftspolitischer Sicht ein kluger Akt, diesen Frauen endlich mehr Gestaltungsmacht einzuräumen. 

Banden bilden auf Bundes- und Landesebene

Wir brauchen also eine konzertierte Aktion auf Landes- und Bundesebene. Der Bundesgesetzgeber sollte mit einem Führungspositionengesetz III die Weichen dafür stellen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung durch Parität in ihren Gremien ihren Aufgaben zukunftsorientiert, kreativ gerecht werden können. Diese Maßgabe sollte auf andere Beteiligte gleichermaßen ausgeweitet werden, wie die Krankenhausgesellschaften, den G-BA und seine Unterausschüsse, die Schiedsstellen und viele mehr. Auf Landesebene sollten die Heilberufe-Kammer-Gesetze und auch die Gleichstellungsgesetze so angepasst werden, dass in Ärzte-, Zahnärzte- und Psychotherapeutenkammern zur Hälfte Frauen mitreden. Nur so ist es möglich, sicherzustellen, dass die Positionen der Kammern zur Gestaltung der Berufstätigkeit ihrer Kammerangehörigen fachlich fundiert die unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen bzw. Lebenswelten der Kammerangehörigen berücksichtigen. 

Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, dies zu unterstützen. Es ist an der Zeit, dass jetzt in die Tat umzusetzen. Das Gesetz kommt bereits zu spät für die Wahlen in den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen in 2022 , an die sich dann im Frühjahr nächsten Jahres auch die Wahlen eines neuen KBV- und KZBV-Vorstands anschließen werden. Für die nächsten sechs Jahre sind damit die Verhältnisse vorbestimmt. Was erwarten wir als Realist*innen von diesem Wahlturnus in der Selbstverwaltung? Es werden wieder zu wenige Frauen gewählt werden. Sie werden in den männerdominierten Organisationen ihr Bestes geben und hoffentlich nicht als Feigenblatt dafür herhalten, dass eine ausreichende Repräsentanz von Frauen nicht sichergestellt werden muss. 

Um das ein für alle Mal zu ändern müssen wir als Frauen Banden bilden und alle Männer miteinbeziehen, die etwas ändern wollen. Wir müssen den „Thomas-oder-Michael-Kreislauf“ durchbrechen und zu einem natürlichen Wechsel mit Sabine oder Susanne auf dem Vorstandsposten kommen und zu viel mehr Tandemlösungen. Auch für die Anpassung der Heilberufe-Kammer-Gesetze in den Bundesländern müssen wir Frauen Banden bilden. Pflegende, Ärzt*innen, Zahnärzt*innen und Psychotherapeut*innen und alle Gesundheitsberufe zusammen: Wir müssen die Bundesländer davon überzeugen, dass Soll-Vorgaben nicht ausreichend sind. Wir brauchen mehr Verbindlichkeit für quotierte Wahllisten und eine paritätische Besetzung aller Gremien. Wir sind uns sicher: Die Zeit des Wandels ist gekommen und wir schaffen das!

Autorinnen:

Dr. Christina Tophoven, Geschäftsführerin Bundespsychotherapeutenkammer

Antje Kapinsky, Co-Vorsitzende der Spitzenfrauen Gesundheit e.V. 

Cornelia Wanke, Co-Vorsitzende der Spitzenfrauen Gesundheit e.V. 

Dr. Kirsten Kappert-Gonther, MdB, Stv. Vorsitzende des Gesundheitsausschusses 

Prof. Dr. med. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg der Hausärzteverbandes e.V. 

Dr.med.  Christiane Groß, Präsidentin des Ärztinnenbundes 

Dr. Anke Klas, Präsidentin Verband der ZahnÄrztinnen+ e.V. 

Hannelore König, Präsidentin Verband medizinischer Fachberufe e.V. 

Prof. Dr. Anke Lesinski-Schiedat, Stv. Vorsitzende des Hartmannbundes

Dr. Farnaz Matin-Mann, Verein Spitzenfrauen Gesundheit 

Dr. Rebecca Otto, Präsidentin Verband der ZahnÄrztinnen-Dentista e.V. 

Dr. Christiane Wessel, Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV Berlin 

Hier geht es zum Artikel: https://observer-gesundheit.de/fuer-eine-zukunftsfaehige-berufliche-selbstverwaltung-brauchen-wir-fuehrungspositionen-gesetz-fuer-das-gesundheitswesen/

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