
Das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ bzw., wie ich es auch in meinen Seminaren nenne, „der gesunde Spagat zwischen Beruf und Familie“…findet sich mehr und mehr in den Medien und im Kontext Unternehmenskultur sowie bei Frauen in Spitzenpositionen. Eine achtsame und gesunde Vereinbarkeit der Lebenswelten ist für uns Frauen, die sich beruflich engagieren möchten und auch immer mehr in die Führung und verantwortungsvolle Positionen gehen, nicht nur wünschenswert, sondern essenziell.
Hierbei gibt es zwei Seiten, die beeinflussen, wie leicht uns die Balance zwischen Beruf und Familie fällt und wie wir den „Spagat“ meistern.
Zum einen sind es die äußeren Rahmenbedingungen: wie ist die Betreuung der Kinder sichergestellt? Wie ist das Familienleben organisiert, so dass beide Elternteile so arbeiten können wie sie es sich vorstellen oder es notwendig ist? Bei diesen Rahmenbedingungen haben wir manchmal aber nur bedingt Einfluss. Im optimalen Fall können wir einen Arbeitgeber wählen, der uns in der Flexibilität unterstützt und wir auch in einer Führungsposition Familie „leben“ können. Wir können uns vielleicht auch die Kita suchen, die für uns günstige Betreuungszeiten anbietet. Dies beides ist aber nicht „sicher“ oder immer der Fall und die Politik hat hier noch einiges zu tun. So kommt die zweite Seite im Thema Vereinbarkeit umso mehr in den Fokus.
Diese, meiner Erfahrung nach, viel wichtigeren Seite, ist meine innere Haltung in den
Lebenswelten. Meine mentale Einstellung wie ich all die Themen von Beruf und Privat „vereinbare“. „Vereinbarkeit beginnt (wie viele andere Themen im Leben auch) im Kopf“ und bestimmt maßgeblich, dass ich gesund, in Balance und entspannt bleibe.
Was hilft es mir, wenn die besten Rahmenbedingungen da sind und ich trotzdem ein dauerndes schlechtes Gewissen gegenüber meinen Kindern habe? Bin ich glücklich, wenn die Oma sich darüber freut, ihr Enkelkind einmal die Woche aus der Kita abholen zu können, ich aber die ganze Zeit denke, die Hilfe darf ich nicht annehmen? Oder wenn ich HomeOffice machen und dadurch meine Zeit etwas freier gestalten kann, aber zu Hause zwischen Haushalt und Arbeit hin und her springe und das HomeOffice mich nicht entspannter, sondern zerrissener macht?
Es ist unsere Einstellung, unsere Denk- und Verhaltensmuster, die ein leichtes Leben in den Welten Beruf und Privat ermöglichen. Wir können noch so gute äußere Bedingungen haben und uns doch unter Dauerstrom fühlen. Wichtig ist, dass wir Klarheit für uns haben. Klarheit darüber, was wir mit UNS vereinbaren möchten. An diesem Punkt beginnt Vereinbarkeit!
Fragen sind dabei:
„Was ist mir wichtig im Zusammenhang von Familie und Beruf?“
„Wieviel möchte ich in die Arbeit investieren und Kraft stecken?“
„Wo stehen meine Kinder, die Partnerschaft (JA, die ist auch wichtig!), vielleicht auch zu pflegende Angehörige und vor allem auch wo finde ich Zeit für MICH?“.
In diesem achtsamen Abwägen der Bereiche dürfen wir uns auf keinen Fall vergessen. Viele empfinden dies als egoistisch. Es ist aber tatsächlich eine Notwendigkeit dafür, dass wir Energie und den Akku für all die Dinge geladen haben, die um uns herum passieren und die uns auch wichtig sind. Das Thema Selbstfürsorge und Achtsamkeit spielt in dem für viele empfundenen Spagat zwischen Beruf und Familie eine große Rolle.
Selbstfürsorge ist meist ein empfundenes Luxusgut, das wir aber unbedingt zur Gewohnheit werden lassen dürfen. Achtsamkeit beinhaltet das Sein im hier und jetzt und die Wahrnehmung meiner Gefühle und Bedürfnisse, ohne sie zu werten; d.h. uns erst einmal zu spüren und dann zu entscheiden, was wir tun.
Um unseren Job und das Privatleben nicht nur irgendwie funktionieren zu lassen, sondern auch zu „leben“ und zu „genießen“, können wir auf Basis der Selbstfürsorge und Achtsamkeit eine entspannte Klarheit entwickeln und Prioritäten setzen.
Wie ist die Verteilung in beruflichen Themen und Familienzeit, wenn ich nach meinem ehrlichen Wunsch gehe? Möchte ich mich beruflich weiter entwickeln und brauche hierfür auch den nötigen Raum und die Zeit? Oder möchte ich mich vielleicht in den ersten Jahren der Kinder auf die Familie konzentrieren und weniger oder vielleicht gar nicht arbeiten? Egal in welche Richtung; wir dürfen dazu stehen und unseren Weg gehen.
Die Schwierigkeit beginnt erst, wenn die klare Entscheidung verschwindet… wenn wir eigentlich damit hadern, dass die Wäsche liegen bleibt, obwohl wir einen für unsere Position wichtiges Meeting vorbereiten möchten. Genau da beginnt das Gedankenchaos und die Zerrissenheit, die uns mittel- bis langfristig aufreibt und auslaugt. Mit einer achtsamen, bewussten Haltung, dass die Wäsche noch liegen bleiben kann und sie keinem etwas tut, wenn sie in 2 Stunden gemacht wird, können wir uns auf das Meeting konzentrieren und unsere Gedanken fokussieren. 100 % bewusstes Arbeiten, danach 100 % Wäsche, weg vom Multitasking hin zum Singletasking.
In den Lebenswelten, in denen wir uns mittlerweile sehr schnell hin und her bewegen, und die durch HomeOffice, Handys und viel Erreichbarkeit ineinander übergehen, ist es an uns Grenzen zu setzen. Bewusst und achtsam mit uns zu sein! Was brauche ich, um mich zu erholen, um zwischendurch Gas zu geben, um „da zu sein“? Wir verlieren in der Schnelligkeit häufig den Kontakt zu uns und spüren manchmal gar nicht, was wir brauchen und möchten. „Funktionieren“ steht da eher an der Tagesordnung.
Ich erlebe es bei meinen Klienten:innen und kenne es von früher auch selber, dass die eigenen Erwartungen, die aller anderen übertreffen und wir es meist möglichst perfekt machen wollen. Doch, ist Perfektion nötig? Wollen wir nicht lieber authentisch und bei uns sein und auch in solch einer Unternehmenskultur arbeiten?
Wir dürfen echt und mit Fehlern sein! Im Job, in der Familie, im Freundeskreis. Wir dürfen Grenzen setzen und für uns die Entscheidung treffen „das ist mir zu viel“, das mache ich morgen oder nehme Hilfe an und gebe es ab. Im Übrigen sind für Kinder weniger perfekte Eltern mit klaren Grenzen sehr viel wertvoller und auch tatsächliche Vorbilder!
Und: das Vereinen der Lebenswelten bringt Skills wie Kompromissfähigkeit, Kommunikationsstärke, Resilienz, Verhandlungsgeschick, Mut, Ehrlichkeit, Empathie und vieles mehr mit sich. Echte Stärken für Frauen in Spitzenpositionen!
Autorin: Anne Fürwentsches